Oh wie gut, dass niemand weiß, wie der Stahler richtig heißt
Fast jeder hat hier einen. Ob offiziell oder nicht. Einen Spitznamen. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, in keinem Dorf wird es so gelebt wie in Stahle. Manche werden mit Stolz getragen, manche sind dem Inhaber gar nicht bekannt oder sollten lieber nicht in der Öffentlichkeit genannt werden. Manche haben eine Geschichte, manche sind spontan und frei erfunden, wieder andere fast vergessen. Kreativität oder einfach nur eine Erleichterung? Einige besitzen sogar mehrere Namen, um die Verwirrung zu vergrößern. Wieder andere haben einen so realen Zunamen, dass man den Richtigen gar nicht mehr kennt.
Mit der Zugabe eines besonderen Beinamens werden einzelne Personen oder ganze Familienstämme betitelt. Man erwirbt ihn aus verschiedenen Gründen:
vererbt,
langjähriger Name der Familie,
Verniedlichung des eigenen Namens,
erworben durch Worte, Taten und Werke,
in Anlehnung an die Arbeit,
verschiedene Körperteile,
Obst oder Gemüsesorten,
Hobbies und Fußballidole,
Tiere (Ähnlichkeiten oder Liebhaber), Vogelarten,
Wohnort
und noch einige mehr.
Sollte nicht jedem einer einfallen, dann ist er wahrscheinlich nicht von hier. Teilweise ist der Ursprung nicht mehr bekannt, wenn doch, dann ist er oft sehr lustig. Besonders, wenn man im Gespräch außerdörfig mindestens drei Beinamen nennt und nur der Einheimische die wirklichen Menschen dahinter kennt. Meistens sind es Männer, die gerade mit neuen Namen betitelt werden. Ob diese einfach mehr Eigenschaften haben oder ganz uneitel den für sie erfundenen Namen annehmen? Frauen würden wahrscheinlich erst noch drüber nachdenken wollen, machen nochmal andere Vorschläge, finden ihn vielleicht zu anzüglich, sind beleidigt… viel zu anstrengend. Die Frauen behalten gerne den Mädchennamen als Zusatz oder den alten Stamm der Familie. Hier wird nicht gefragt: Wo kommste wech? sondern: Von wem biste? Von Struck‘s… bringt keinen weiter: von Antons. Ah, dann weiß doch ein jeder Bescheid! Die Aufschlüsselung der diversen Spitznamen ist oft schwierig und manchmal nicht mehr zu klären. Aber nur durch sie können viele Familien oder Geschichten erst verstanden werden.
Der Kreativität ist hier noch kein Ende gesetzt. Auch die Bezeichnungen im Ort und Drumherum sind nicht mehr jedem bekannt. Wer diese allerdings erfunden hat oder, ob diese schon immer Bestand haben, keine Ahnung. Die Nüssetwier kennt jeder, aber Kahle Büsche? Eispfähle, Grämsche Kuhle, Teufelsküche…? Vielleicht hätte ich in Heimatkunde unterrichtet werden sollen, denn dass es in Stahle ein Gefangenenlager gab, war mir ebenso wenig bekannt wie Potsderpe. Irgendwie spannend, oder?! Ich habe mir inzwischen eine Karte beschriftet mit allen Örtlichkeiten die es nur im Mündlichen gibt. Es wäre doch schade, wenn diese irgendwann verloren gehen.
Und so laufe ich durch Stahle und lerne fleißig die Namen von Menschen und Orten, um keinen und niemanden zu vergessen.
Liebe Grüße
KK
geb. Henjes vh. Mölders